Expedition Velebit 2018
Fahrt nach Zagreb, 27.07.2018
Heute starten wir, ein Grüppchen aus dem Kreise der TU-Dresden– Unisport Höhlenbefahrer, nach Kroatien. Wir, das sind Max und Lisa, die aktuellen Kursleiter und Mitglieder des Vereins für Höhlen- und Karstforschung Dresden und Matthias und Julius, gute Freunde und Fotografen mit Höhlenerfahrung. Wir folgen einer Einladung des kroatischen Höhlenvereins SOV – SPS Zagreb zu ihrem jährlichen Forschungscamp im Velebit Gebirge. Der Kontakt wurde vor zwei Jahren über Dalibor Paar hergestellt, einen Professor der Universität Zagreb, Höhlenforscher und Mitglied dieses Vereins. Die Höhlen im Velebit sind tief und sehr schachtig. Ein Ziel der Expedition soll die weitere Erforschung der 1324 m tiefen Slovačka Jama sein. Diese Höhle ist die zweittiefste Höhle Kroatiens und liegt damit immerhin auf zurzeit auf Platz 28 einer weltweiten Liste. Dort soll im finalen Siphon getaucht werden oder in einem Nebengang gesprengt und gegraben werden. Wir haben im Vorfeld noch einmal gezielt Seiltechnik, Kameradenrettung und den schnellen effizienten Aufstieg am 100m-Seil geübt und hoffen, dass unsere Erfahrung ausreicht.
Um 7:15 Uhr fahren Max und ich in der Tischerstraße los um die anderen Beiden abzuholen, damit wir um 8:30 Uhr in Richtung Autobahn abfahren können. Bis zur kroatischen Grenze verläuft die Fahrt fast reibungslos über Prag, Wien, Graz und Slowenien, aber dann stehen wir 45 min im Stau an der Grenze. Unsere geplante Ankunftszeit von 19:00 Uhr hat sich dadurch auf 20:15 Uhr verschoben. Ich mache mir Sorgen, dass wir unsere Gastgeber zu lange warten lassen. Wir können in Zagreb bei zwei Höhlenforschern des Vereins übernachten, Thea Selakovic und Igor. Meine Sorgen waren unbegründet. Die Beiden sind sehr freundlich und haben sogar noch ein leckeres Abendessen mit gebackenem Gemüse und selbstgemachten Johannisbeertaschen für uns vorbereitet. Sie haben zwei liebe Hunde, die im Garten spielen. Das Haus ist noch eine Baustelle, aber die Wohnung sieht schon sehr schön aus. Wir sind sehr dankbar, dass wir bei den Beiden schlafen dürfen und haben uns noch bis spät abends unterhalten. Am nächsten Morgen wollen die Zwei uns zum Treffpunkt in der Stadt bringen, an dem jemand auf uns warten wird um uns zum Camp zu begleiten.
28.07.2018 Fahrt in den nördlichen Velebit-Nationalpark
Wir stehen um 7:00 Uhr auf um nach einem kleinen Frühstück zum Treffpunkt in Zagreb zu fahren. Das Treffen wurde dann allerdings noch einmal verschoben, weil irgendetwas noch gekauft oder besorgt werden musste. So genau bekommen wir das häufig nicht mit, weil die Übersetzungen der Kroaten doch manchmal einige Details auslassen. Jedenfalls fahren wir gegen 8:30 Uhr schließlich mit Igor und Thea in die Stadt. Die Beiden können dieses Jahr selbst nicht am Camp teilnehmen, was sie sehr bedauern. Wir genehmigen uns ein zweites Frühstück beim Bäcker während wir auf unseren Abholer warten. Irgendwann hält ein weißes Auto neben unserem Roten, aus dem Čajko Domagoj aussteigt und uns begrüßt. Er kümmert sich um die Organisation des Camps und holt „die Deutschen – nijemci“ ab. Aber bevor es losgeht gibt es einen zweiten Kaffee und einen Blick auf die Karte. Alle Höhlen wurden auf der Gebietskarte markiert und mit Katasternummer versehen. Dazu gibt es Detailkarten und ein Register mit den Aufgaben, die dort jeweils zu erledigen sind. Häufig fehlen nur ein Foto vom Mundloch und eine Plakette mit der Höhlennummer und der Club-ID am Höhleneingang. Auch das vervollständigen des Katasters ist ein Ziel des Camps. Die meisten Höhlen sind schwierig erreichbar, da das Gelände sehr schwierig, gefährlich und unzugänglich ist. Das betont Čajko mehrmals. Nach dem Kaffee folgen wir ihm auf der 2,5-stündigen Fahrt ins Velebit-Gebirge. Wir vermeiden die Mautstraßen und sind gefühlte Ewigkeiten unterwegs bis wir am Haus der Nationalparkverwaltung anhalten. Hier sollen wir noch ein paar hundert Meter Seil abholen, aber sie sind nicht da. Wir warten eine Weile und Čajko telefoniert. Aber er scheint keine Lösung für das Problem zu finden. Der Nationalpark Sjeverni Velebit unterstützt die Forschung des Vereins mit 3500 €. Davon kann neues Material gekauft werden und die Ausstattung des Vereins ist wirklich ausgezeichnet, wie wir später sehen können. Im Austausch führt der Verein sehr akribisch das Kataster und füllt ausführliche Protokolle zu jeder befahrenen Höhle aus. Alle Zeichnungen, Höhlenpläne und Fotos werden dem Nationalpark übermittelt. Auch wir unterschreiben eine Erklärung, dass unsere Arbeiten dem Verein und dem Nationalpark gehören werden.
Einfahrt in den Velebit Nationalpark. Bild: Lisa Hoffmann.
Nachdem Čajko die Seile nicht auftreiben kann, fahren wir weiter ins Dorf Krasno Polje. An der örtlichen Kneipe halten wir, wo andere Höhlenforscher schon beim ersten oder zweiten Bier sitzen. Uns werden Valentina Plemenčić und ihr Freund Filip vorgestellt, Lucija und Španja, Hrvoje Petričević und die beiden Hunde Emma und Mimi. Da wir kein Kroatisch verstehen müssen wir uns auf Englisch unterhalten. Es sprechen aber alle sehr gutes Englisch, sodass es kein Problem gibt. Valentina arbeitet sogar manchmal als Übersetzerin und als Lehrerin für koreanische Jugendliche. Petričević ist Bauingenieur. Nach dem Bier, das wir natürlich mittrinken mussten, fahren wir weiter ins Camp.
Dieses ist am Rande der Lichtung Veliki Lubenovac aufgebaut (N 44,74805/ E 15,01193). Gegenüber, bei Mala Lubenovac haben die Familien ein eigenes „Kids Camp“ errichtet. Wir sind daran vorbeigefahren. Dort kampieren bis zu 100 ehemalige Höhlenforscher, die irgendwann Eltern geworden sind, manche Familien mit 8 Kindern. Sie werden von den Leuten im „Erwachsenen-Camp“ fast etwas mitleidig belächelt. Man ist froh, dass die ganzen Kinder woanders zelten. Gleichzeitig vertraut man darauf, dort im Fall der Fälle ein Rettungsteam rekrutieren zu können, Süßigkeiten zu schnorren und für alle sonstigen Probleme eine Lösung zu finden, weil die „Muttis“ und „Papas“ eben für alles eine Lösung haben.
Das „Erwachsenen-Camp“ liegt im Wald direkt neben der Schotterstraße. Den Mittelpunkt des Lagers bildet die „Küche“. Drumherum gruppieren sich Baumstämme als Sitzbänke und gegen Regen schützt ein Dach aus Plastik-Planen. Das Trinkwasser und Brauchwasser gibt es in Kubikmeter-Tanks auf einem Anhänger. Das Wasser muss von der 20 Minuten entfernten Quelle geholt werden. Wir bauen unser Zelt in einiger Entfernung im Wald auf. Es gibt Bären in der Gegend, aber bisher gab es wohl keine Probleme mit den Lebensmitteln und alles wird zentral in der „Speisekammer“ aus Plastikplanen gelagert. Der Wald ist voller Heidelbeer-Sträucher und die Blaubeeren sind reif, genau wie die Wald-Erdbeeren und Himbeeren. Dass wir unser Zelt mitten in den Heidelbeeren aufgebaut haben beunruhigt uns ein wenig.
Zum Abendessen gibt es eine Art Suppe mit Bohnen und Linsen. Etwas Ähnliches wird es in den nächsten Tagen meistens geben. Es wird vegetarisch gekocht und dazu eine Fleischoption in Form von Schinken, Speck oder Kochfleisch angeboten. Es ist natürlich schwierig ohne Kühlschrank im Sommer frische Lebensmittel aufzubewahren. Generell ist die Speisekammer aber gut ausgestattet. Neben Hülsenfrüchten gibt es Tomaten und Fleisch in Dosen, frische Paprika, Möhren, Äpfel und Bananen. Obligatorisch sind natürlich auch Kekse, Schokolade, Milchgetränke und Tütengerichte für die Höhle in überwältigender Menge. Manches davon wurde von Firmen gespendet. Kalkuliert ist die Verpflegung für 20 Leute und zwei Wochen. Jeder zahlt dafür umgerechnet 100 € in die Gemeinschaftskasse
Abstieg in der Nähe der Höhle Avatar. Bild: Julius Zimmermann.
Nicht alle sind zwei Wochen im Camp, viele kommen nur übers Wochenende dazu oder erst in der zweiten Woche. So ist es ein ständiges Kommen und Gehen. Um den Überblick zu behalten sind jeden Tag zwei Personen für das Camp verantwortlich. Ihre Aufgabe ist es, ständig anwesend zu sein, Frühstück und Abendessen zuzubereiten, das Feuer zu bewachen und Holz zu sammeln. Sie sind Ansprechpartner, führen Logbuch über die Neuankömmlinge, Geschehnisse, Alarmzeiten und Ergebnisse der Exkursionen. Sollten Gruppen in der Slovačka Jama übernachten dauert eine Schicht von Früh um 6:00 Uhr bis zum nächsten Morgen um 6:00 Uhr. Es liegt ein Telefonkabel vom Camp Lubenovac bis ins Biwak 3 der Höhle in -1300 m Tiefe. Das dazugehörige Telefon ist ein roter Plastikhörer des italienischen Systems „Nicola“, was im Prinzip genauso funktioniert wie unser Heulruftelefon. Die Kroaten haben zusätzlich ein eigenes selbstgebautes Telefonsystem, ähnlich dem Eigenbau von Hartmut, mit dem Vorteil, dass damit alle über Lautsprecher mithören können. Der Camp-Verantwortliche muss zu jeder Zeit am Telefon erreichbar sein. Das bedeutet, dass er auch schon mal neben dem Hörer schlafen muss.
Am Abend wird von Čajko der nächste Tag geplant. Für morgen werden zwei Gruppen gebildet. Eine Gruppe soll die Eishöhle Pozoj zeichnen und vermessen und den aktuellen Stand des Eises prüfen. Viele Höhlen im Velebit sind im Eingangsbereich vereist. Das Problem dieser Gletscher ist, dass sie die Höhle zum Teil verschließen oder als Eispfropfen im Schacht hängen, von dem jederzeit Teile abbrechen könnten. Sich darunter im Schacht aufzuhalten ist nicht ungefährlich. Außerdem sind die Wände häufig mit einer dicken Eisschicht überzogen, was es schwierig macht Fixpunkte zu setzen. Die Seile vereisen und man bricht ständig Eisteile ab, die dann in den Schacht poltern. Die Erstbefahrer, und nicht nur die, hatten großen Respekt vor diesen Eisschächten und den Geräuschen darin. Es klingt, als ob in der Höhle ein Drache atmet. Daher stammt auch der Name Pozoj (=Drache).
Die zweite Gruppe soll die Höhle Avatar (N 44,74829/ E 15,00044) befahren und zwei weitere Höhlen in der Nähe suchen und erkunden von denen bisher nur die Koordinaten bekannt sind. Ich schließe mich der ersten Gruppe an, weil mich das Eis interessiert. Max, Matthias und Julius werden mit der zweiten Gruppe gehen. Neben den vier bereits bekannten Leuten aus der Kneipe, sind Dalibor Paar, Luka Havliček, Marijan (Sutla) Sutlovic, Tanja, Ana Baksic und drei Amerikaner (Chris Nicola, Mark Colbenson und Harry Brandle) bereits im Camp. Valentina und Mark werden morgen Camp-Dienst haben. Chris und Harry werden mit Dalibor auf die Suche nach einem im 2. Weltkrieg abgestürzten Flugzeug gehen.
Abends bearbeiten Tanja und Španja laminiertes Millimeterpapier mit Schmirgelpapier (das heißt auch auf Kroatisch so). Dadurch erhält man wasserdichtes Papier auf das man mit Bleistift zeichnen kann. Die Nacht ist ruhig und wir schlafen gut, bis wir zum Frühstück am nächsten Morgen um 8:00 Uhr geweckt werden.
Alltag im Camp, Kontakt mit einem Team in der Slovačka Jama. Bild: Matthias Hardner.
29.07.2018 Pozoj und Avatar
Meine Gruppe besteht aus Sutla, Španja, Lucija und Hrvoje. Wir müssen nur der Fahrstraße kurz folgen und dann in den Wald abbiegen. Wir finden die Höhle über ihre GPS Koordinaten, aber den Weg müssen wir selbst finden. Es geht quer durch den Wald bergauf. Ich versuche mitzuhalten und nicht langsamer zu sein als die Anderen, denn das verletzt meinen Stolz. Es gelingt mir diesmal ganz gut. An der Doline, die in Kroatien „vrteska“ genannt wird, wenn sie sehr steil ist, kommen wir verschwitzt an und ziehen uns um. Die Kroaten verwenden ein ähnliches Gurtsystem wie wir mit den Kuhschwänzen, aber den Stop als Abseilgerät. Wir hatten leider festgestellt, dass wir den Gurt, den Matthias aus dem Uni-Material ausleihen wollte, zu Hause vergessen hatten. Glücklicherweise hatte ich einen Reservegurt eingepackt. An diesem fehlt allerdings, wie sich gestern herausstellte, das Abseilgerät. So war das Glück im Unglück doch wieder kein Glück. Und so kam es, dass ich Matthias mein Abseilgerät gab und mir für heute Valentinas Stop ausleihen musste.
Sutla baut inzwischen den Schacht ein. Zuerst geht es eine schräge Rampe hinunter bis zu zwei Umstiegstellen. Hier muss man aufpassen keine Steine loszutreten. „Achtung Stein“ heißt auf Kroatisch „kamen“, habe ich gelernt. Danach seilt man 80 m in den Tageslichtschacht ab, bis man das Eis erreicht. Sutla schlägt lose Eisteile ab und bohrt neue Anker. Es werden 8 mm Spreizanker von Fixe verwendet. Auf die herausstehenden Gewindestäbe werden die Laschen aufgeschraubt. Weil sich das Eis ständig verändert und alte Anker einfrieren, muss immer wieder neu gebohrt werden.
Blick in den Tageslichtschacht der Pozoj Höhle. Bild: Julius Zimmermann
In der Höhle gibt es einen Hauptschacht, in den vor einigen Jahren die Slowaken hineingeseilt sind. Damals haben sie sich nicht weiter getraut, weil der Gletscher über ihren Köpfen hing, während von unten des Drachen lauter Atem nach oben tönte. Sie schätzten den Schacht auf eine Tiefe von mehr als 100 m. Wir seilen heute in den Nebenschacht ab, der nach 20-30 m leider endet. Warum wir nicht in den Hauptschacht schauen wollten, konnte ich nicht herausfinden. Mir wurde nur gesagt, dass wir zurück müssen, weil wir keine Zeit mehr haben. Manchmal macht sich die Sprachbarriere dann doch bemerkbar.
Bizarre Eisstrukturen an einer Wand in der Pozoj Höhle. Bild: Lisa Hoffmann.
Španja hat inzwischen den Schacht mit dem Laser-Distometer vermessen und gezeichnet. Die meisten Höhlenpläne des Velebit sind von ihm. Er hat den Aufriss frei Hand in der Höhle gezeichnet, während er die Messdaten notiert um später den Grundriss zu zeichnen. Meine Füße sind in den Gummistiefeln inzwischen sehr kalt.
15:30 Uhr sind wir zurück im Camp und warten auf die anderen Gruppen. Sutla muss nach Hause, weil er am Montag arbeiten muss, was der Grund dafür war, dass wir so zeitig zurück mussten. Kurze Zeit später erscheint Dalibor alleine im Camp. Er hat die beiden Amerikaner an der Straße zurückgelassen. Sie hatten zu wenig Wasser dabei für die Wanderung in der Sommersonne und sind nun völlig erschöpft. Mark und Hrvoje fahren mit dem Auto und einigen Litern Wasser zurück um sie abzuholen.
Rückweg aus der Pozoj. Bild: Julius Zimmermann
Luka, Julius, Matthias, Max und Čajko lassen auf sich warten. Die Rückkehr war gegen 20:00 Uhr geplant. Ab 21:00 Uhr würde jemand nachschauen gehen, ob alles in Ordnung ist. Die Alarmzeiten sind also eher knapp kalkuliert, was aber Sinn ergibt, da im Lager immer jemand bereit ist nach dem Rechten zu sehen. Gerade noch pünktlich kommen die fünf zurück ins Camp.
Sie haben die Avatar-Höhle gefunden, wo man 60 m bis zu einem Eiskegel abseilt. Danach sind sie in einem Nebenschacht weitere 100 m abgeseilt. Der Kluftspalt am Ende wurde bereits künstlich erweitert, aber hinter dem nächsten kleinen Raum kommt wieder eine Engstelle. Dort ist jedoch ein vielversprechender Luftzug spürbar und vermutlich ein großer Raum dahinter. Vielleicht kann später ein Team mit Sprengstoff die Verengung erweitern. Im Aufstieg konnte Max seine neue Fußsteigklemme von Camp ausprobieren und hat sie für gut befunden. Die Gruppe konnte in der Nähe die bisher unerforschten Höhlen Avatar 2 und Ran Bar finden, mit Plaketten versehen und auch befahren. Allerdings waren beide nur 15-17 m tief. Matthias konnte dort immerhin das Spit-Setzen üben. Er hat auch eine weitere neue Höhle gefunden, die auch eher klein ist und Bärenhöhle genannt wurde.
Abseilen in die Avatar Höhle. Bild: Julius Zimmermann.
Wir denken, dass die Exkursionen des heutigen Tages für die Kroaten dazu dienten, uns und unsere Fähigkeiten einzuschätzen. Dazu muss gesagt werden, dass es bei der Anmeldung zum Camp schon einen recht ausführlichen Fragebogen auszufüllen galt. Wir haben den „Test“ scheinbar bestanden, wie Čajko uns am Abend mitteilt. Uns wird zugetraut, die Slovačka Jama bis zum 1. Biwak auf -360 m zu befahren. Auch wenn das alles etwas bürokratisch wirkt, ist diese Ernsthaftigkeit sicher notwendig aufgrund der Dimension der Schächte. Die Slovačka Jama hat zwischen -360 m und -1300 m kein weiteres Biwak, weil es keinen trockenen und ebenen Ort gibt, der groß genug dafür wäre. Bei starkem Niederschlag benötigt das Wasser 8 Stunden bis zum Biwak 3 und ein Aufstieg ist dann wegen zahlreicher Wasserfälle nicht möglich. Zwischen den Biwaks passiert man einige Engstellen und einen 300 m langen horizontalen Mäander, durch den eine Trage nicht durch passt. Folglich soll die Anzahl der Leute, die sich hinter dem Mäander aufhalten, möglichst gering gehalten werden. Wir freuen uns schon, dass wir in die Höhle hinein dürfen.
30.07.2018 Höhlensuche
Am nächsten Tag sollen wir mit Čajko und Luka einige Höhlen suchen und gegebenenfalls Plaketten anbringen. Julius geht heute in die Pozoj um einige Fotos für die Dokumentation zu machen. Frühstück gibt es wieder um 8:00 Uhr.
Wir gehen in die gleiche Richtung auf dem Fahrweg, aber etwas weiter als gestern zur Pozoj und biegen dann in den Wald ab. Die Gruppe haben wir geteilt. Luka und Max suchen Jama Pimplanje und Tripara Sarapan. Matthias, Čajko und ich suchen Pusi und Spilja pod Jamaican. Zuerst müssen wir aber einen Weg über den felsigen Gipfel finden. Das ist mit etwas Kletterei verbunden, keine leichte Aufgabe mit dem großen und schweren Rucksack. Max und Luka haben eine schöne Route entlang von Wasserrillen und Karren im unteren dritten Schwierigkeitsgrad gefunden. Wir wählen eine etwas leichtere Variante durch die Wand. Im Abstieg entscheiden wir uns dann alle lieber für eine mit Bäumen bewachsene Rinne, die zwar unangenehm botanisch ist, aber dafür keine Gefahr des Absturzes bietet, weil einfach ständig Gestrüpp im Weg steht.
Orientierung im Gelände. Wie kommen wir um die Doline herum? Bild: Matthias Hardner
Max und Luka finden ihre Höhlen zunächst nicht, bis wir uns wieder treffen. Meine Gruppe findet zwar Höhlen, aber die haben schon Plaketten eines anderen Clubs. So bleibt uns nur, Fotos von den Mundlöchern zu machen. Eine neue Höhle finden wir auch. Sie ist eher horizontal und nach dem engen Eingang folgt ein 10 m langer Kluftspalt. Ich darf diese Höhle vermessen und zeichnen und damit auch das einmal üben. Der Name der Höhle ist „Hot Pants Cave“ und natürlich gibt es dazu eine Geschichte: Weil wir die Rucksäcke während der Wegsuche vor den Kletterstellen zurückgelassen hatten, hatte keiner von uns sein Höhlenzeug dabei. Ich fand es praktischer ohne Hose durch die Engstelle zu kriechen, was Čajko sehr lustig fand. Auf seine Frage nach dem Warum habe ich wohl geantwortet, dass mir zu warm war. In Wahrheit habe ich eigentlich nur eine Hose mit und wollte die nicht schmutzig machen.
Orientierung mit dem GPS Gerät. Bild: Matthias Hardner
Mittags treffen wir uns mit den Anderen zum Picknick bei grandioser Aussicht. Nachdem der erste Teil des Tages so mehr oder weniger erfolgreich verlaufen war, wollen wir die Höhle Pod Piramidom und einen weiteren unerforschten Schacht suchen und hoffentlich finden. Dorthin zu gelangen ist die Herausforderung, weil das Gelände sehr steil und felsig ist. Eine tiefe Doline (vrteska) versperrt uns den Weg und auf der anderen Seite fallen die Wände senkrecht ab. Wir versuchen es erst links, dann rechts, bis wir einen Weg vorbei finden. In dem Tempo brauchen wir für fünf Kilometer Strecke ganze vier Stunden. Die Höhle haben wir schließlich gefunden. Erste Verluste sind zu beklagen. Čajko hat sich den Fuß verstaucht. Das kann in dem Gelände schnell passieren, aber er beißt die Zähne zusammen. Die zweite Höhle muss theoretisch direkt dahinter, oder hinter der nächsten vrteska liegen. Es ist aber schon spät und wir haben keine Motivation mehr. Das Auf und Ab mit den Rucksäcken ist anstrengend.
31.07.2018 N 44,76716/ E 14,95821
Das Ziel ist heute ein spannender, sehr tiefer Eisschacht, die Xantipa-Doline. In den letzten Jahren war der Schacht zugefroren, weshalb wir zuerst nachschauen müssen, wie der Stand des Eises ist, ob man hineinseilen kann oder ob das zu gefährlich ist. Mit uns gehen Marco Ličko, Čajko und Hrvoje. Španja hätten wir fast vergessen, der Aufnahmen mit der Drohne machen möchte um später anhand der Bilder ein 3D-Modell zu erstellen.
Wir fahren diesmal mit dem Auto bis zum Ende der Fahrstraße wo sich eine kleine Wendeschleife befindet. Čajko muss im Kofferraum mitfahren, aber ich glaube er hat Spaß dabei. Der Weg zur Höhle wurde uns schon als weit und anstrengend angekündigt. Zunächst folgen wir 20 min dem markierten Wanderweg bis zu einem Abzweig nach links. Dieser führt auf den Gipfel und ist mit roten Strichen markiert. Wir folgen dem Pfad etwa eine Stunde über Felsen, große Blöcke und leichte Kletterstellen steil bergauf bis zum Rand einer großen Doline. Kurz davor biegen wir nach links ins Gebüsch ab bis sich vor uns eine (zweite?) große Doline öffnet, die sehr beeindruckend aussieht. An einer bestimmten Stelle zwischen den Latschen müssen wir abklettern. Es sieht schlimmer aus als es am Ende ist. Am tiefsten Punkt der Doline beginnt der Schacht in Form einer weiteren kreisrunden Doline mit senkrechten Wänden. Wir suchen uns dort am Rand ein schattiges Lager, denn es ist schon sehr warm geworden. Ličko möchte hier neue Fixpunkte setzen und Seile installieren. Früher wurde noch einige Meter durch die Latschen abgeklettert und gequert bis zum ersten Fixpunkt der Abseilstrecke. Wir haben somit erstmal Pause, während der die Anker gebohrt werden.
Doline der Xantipa Höhle. Bild: Lisa Hoffmann.
Španja testet schon die Drohne und nach einer Stunde und einem Drohnenabsturz können wir auch loslegen. Max und ich werden gefragt, ob wir einbauen wollen. So viel Lust haben wir dazu nicht bei der Hitze, aber es wirkt so, als ob das gar nicht als Frage gemeint war. Letztendlich baut Max den Schacht ein. Wir haben unsere eigenen Seile, das heißt, die des Unisportzentrums dabei, denn die Seile, welche wir auf dem Weg zum Camp einsammeln sollten, sind noch nicht aufgetaucht. Die Pozoj und die Avatar sind mit jeweils 100-200 m Seil ausgebaut und jetzt herrscht deshalb Seilmangel. Obwohl im Materiallager noch zwei neue 400 m-Seilrollen liegen. „Nur für Rettung“, wird uns erklärt, genau wie zwei weitere Bohrhämmer, Seilschoner, Zelte, eine Kiste Kocher und Gas und die Trage. Unsere insgesamt 350 m Seil hatten wir eigentlich nur mitgebracht um auf dem Rückweg eventuell den Ponor Butori erneut befahren zu können. Diese Höhle hatten wir während unserer ersten Kroatienreise 2015 in Istrien gefunden. Aber wir helfen auch gerne hier aus, solange die Seile nicht die ganze Woche in der Höhle eingebaut bleiben. Ausgestattet mit Bohrhammer, Fixe-Ankern, Laschen, 100 m Seil und Karabinern muss sich Max zuerst durch die Latschen kämpfen. Ich folge ihm mit 60 m Seil und unseren warmen Wechselsachen. Die Sonne brennt und wir schwitzen im Schlaz und Unterkleidung, aber unten auf dem Eis sind 0°C und wir werden vermutlich lange dort warten.
Ich soll noch einen zweiten Schleifsack mit weiteren 85 m Seil „schonmal mitnehmen“. So bepackt arbeiten wir uns durch die Latschen. Diesmal habe ich mir keinen Stop geliehen und benutze das Rack. Mit Mark habe ich den Experten an meiner Seite, der mir gleich die Tricks und Kniffe der amerikanischen Abseilkunst verraten kann. Er erklärt, dass in Amerika das Rack sehr verbreitet ist, es aber kaum Umstiegstellen gibt. Stattdessen wird ein dickes 11 mm Seil in den Schacht geworfen und mit Seilschonern geschützt. Dabei kommen die Vorteile der variablen Bremswirkung an langen Seilstrecken zum Tragen. Mark verwendet aber auch fast immer fünf Bremsbarren und selten weniger. Zum vollständigen Blockieren muss man einen Sackstich aufs Seil binden, was natürlich an Umstiegstellen viel Zeit kostet. Man kann die Bremswirkung beim Abseilen weiter regulieren indem man die Barren mit der Hand auseinanderzieht oder zusammenschiebt. Mein Test im Schacht zeigt schon auf den ersten Metern durch die Latschen, dass mir vier Barren auch zu wenig Bremswirkung haben. Ich habe allerdings auch schweres Gepäck dabei. Jedenfalls bin ich beruhigt, dass ich für solche Experimente immer noch den Shunt als Redundanz habe. Dann geht es 100 m mit einigen Umstiegstellen hinab in die vrteska. Es hat sich für mich bewährt, die offene Seite vom Rack links zu haben und das Seil rechts unten herauslaufen zu lassen. Dadurch werden alle Bremsbarren voll genutzt. Zweimal rumwickeln zum Blockieren ist nicht ausreichend, wenn das Rack beim Umbauen an der Umstiegstelle unbelastet ist. Dann löst sich die Blockierung allein durch das Seilgewicht auf. Beim freihängenden Abseilen an längeren Seilstrecken geht es mir wieder etwas zu langsam, aber ich traue mich nicht mehr, einen Barren auszufädeln.
Auf dem Gletscher der Xantipa. Bild: Julius Zimmermann.
Das Seil reicht genau bis auf einen Absatz. Dort müssen wir den weiteren Weg suchen. Max entdeckt schließlich den nächsten Anker, aber er befindet sich schon in gerölligem Absturzgelände. Deshalb bohren wir darüber einen Neuen. Im Vorhinein haben uns die Kroaten schon eingeschärft, dass wir ruhigen Gewissens neue Anker setzen können, wenn wir sie für sinnvoll erachten: „We have plenty of rock, new anchors are no problem“. Španja ist mit der Drohne in der Doline herumgeflogen, während wir eingebaut haben. Nachdem er dann doch einmal die Felswand berührt hat, musst er umdrehen und aufhören zu filmen. Wir sind inzwischen bis zum Eis abgeseilt, wobei man erstmal in der Randkluft des Gletschers verschwindet. Nachdem wir mühsam herausgeklettert waren, bewegten wir uns möglichst schnell aus der Falllinie, denn wir bemerkten, dass alle Steine, die 100 m über uns losgetreten werden, genau dort landen. Sicher stehend setzt Max den nächsten Anker am Rand des Eises um gesichert über den Gletscher gehen zu können. Auf der anderen Seite fällt der Gletscher immer steiler bis in den Eisschacht ab und verschwindet in der Dunkelheit. Wir warten auf die Anderen.
Zumindest Ličko folgt uns in beeindruckendem Tempo. Er übernimmt ab hier den Einbau der Eisröhre. Bald können wir ihn nicht mehr sehen und kaum noch hören. Nur ab und zu ertönt das Geräusch der Bohrmaschine. Meine Füße werden langsam wieder kalt, obwohl ich nach meiner ersten Erfahrung in der Pozoj keine Gummistiefel, sondern Wanderschuhe angezogen hatte. Als Ličko wieder heraufkommt berichtet er, dass das Seil nicht bis zum Grund des Schachtes reicht und dieser sicher noch einige Meter tiefer ist. Wieviel tiefer kann er nicht schätzen, weil sein Licht nicht weiter reichte. Er erzählt mir auch, dass er beinahe über das Seilende abgeseilt und abgestürzt wäre.
Das Seil war in den Schleifsack gefädelt, aber nicht richtig vorbereitet gewesen. Das heißt, es gab keinen Seilendknoten und Ličko hatte beim Abseilen nicht auf den immer leichter werdenden Schleifsack geachtet. Den Fehler bemerkte er erst nachdem ihm das Ende durch die Hand glitt. Geistesgegenwärtig ließ er gerade noch rechtzeitig den Hebel vom Stop los, der daraufhin auf den letzten 10 cm blockierte und den Absturz verhinderte. Ich bin in dem Moment beeindruckt von der scheinbaren Gelassenheit mit der er das Vorkommnis berichtet. Tatsächlich ist ihm erst am Abend wirklich bewusst geworden, was da fast passiert wäre. Wir können uns den Schacht selbst anschauen und sind fasziniert.
Nach etwa 20 m erreicht man die 0°C Grenze, denn ab dort sind die Wände mit klarem Eis überzogen. Es bildet allerlei Knubbel, Eiszapfen und Strukturen, die wie Sinter an den Wänden hängen. Es ist beeindruckend und gruselig. Das Tageslicht verblasst langsam und man steht auf einem Absatz vor der letzten Umstiegstelle. Acht Meter unterhalb baumelt das Seilende, mit Knoten. Ich schalte meine Lampe auf die hellste Stufe, aber sehe nur Nebel. Ein Eiszapfen, hinabgeworfen, schlägt irgendwo auf und fällt dann weiter. Ich steige wieder hinauf und lasse den Nächsten abseilen. Max, Matthias, Julius, alle finden den Schacht beeindruckend, aber unheimlich. Julius macht Fotos, durch den Blitz so hell, wie wir es im Licht der Stirnlampe nie sehen konnten. Čajko und Hrvoje verzichten darauf den Schacht zu sehen, weil sie am nächsten Tag zum Vermessen und Zeichnen wiederkommen wollen.
Es ist ohnehin schon spät und uns ist kalt. Bis alle draußen sind ist es 19:30 Uhr. Alarmzeit war um 21:00 Uhr, oder 22:00 Uhr? Keiner weiß das genau. Wir beschließen einige Sachen, wie Gurte und Einbaumaterial am Eingang der Doline zu lassen. Dann müssen wir am nächsten Tag nur Seile tragen. Während des Abstieges können wir den Sonnenuntergang bewundern und sind um 21:00 Uhr zurück am Auto und kurz darauf im Camp. Die Anderen haben sogar noch Essen für uns übrig gelassen.
01.08.2018 Xantipa
Heute stehen wir zeitig auf, denn es geht wieder zur Xantipa. Für Čajko, Hrvoje, Julius, Valentina, Mark und mich gibt es um 7:00 Uhr das Frühstück im Lager. Wir wollen heute versuchen so tief wie möglich im Schacht abzuseilen und die Höhle zu vermessen. Es herrscht allerdings wieder Seilmangel, weil parallel eine Gruppe mit Dalibor in die Lukina Jama gehen wird. Das wäre theoretisch die tiefste Höhle Kroatiens und die 16-tiefste Höhle der Erde, nur ist der Hauptschacht seit 15 Jahren in 60 m Tiefe von einem Eispfropfen versperrt. Ob der Zugang über andere Schächte bis in 1431 m Tiefe wohl noch möglich ist? Dalibor möchte mit Max und Matthias Messgeräte für Temperatur und Luftfeuchtigkeit platzieren und prüfen ob sich das Eis verändert hat. Für uns bleiben dadurch nur insgesamt 110 m Seil übrig. Ob das reicht?
Zuerst müssen wir den ganzen Aufstieg noch einmal bewältigen. Wir kommen dabei, wie auch gestern, an einer Stelle mit gutem Handyempfang vorbei. Dort wird natürlich kurz pausiert, denn im Camp ist kein Empfang. Der Aufstieg ist wieder schweißtreibend, obwohl es noch Vormittag ist. Am Rande der Doline finden wir unsere zurückgelassenen Sachen. Ich werde den Eisschacht mit Čajko weiter einbauen.
Behängt mit Bohrhammer und allerlei Material, sowie 90 m Seil, schlage ich mich durch die Latschen. Den Einbau bis zum letzten erreichten Punkt haben wir gestern belassen. Beim Abseilen unterhalb der 0°C Grenze bemerke ich, dass das Seil gefroren ist. Es ist ein dünnes 9 mm Seil und rutscht stellenweise sehr schnell durch den Simple bis wieder eine griffige Stelle kommt und ich mit der Hand bremsen kann. Ich bin recht froh, dass ich diesmal meinen Simple benutze und nicht das Rack. Ich versuche dann, das Eis mit der Kante des Simples abzukratzen, was auch ganz gut funktioniert. Am letzten Anker hänge ich das neue 90 m Seil ein und dann geht es hinab in unbekanntes Terrain. Nach etwa 15 m stehe ich auf einem schrägen Absatz, der nach rechts abfällt. Über mir tropft Wasser von der Decke und ich werde nass. An der Stelle, wo das Wasser auftrifft, bildet das Eis sehr filigrane, luftdurchsetzte Strukturen. Es sieht toll aus, aber ich muss es leider abbrechen, damit es mir später nicht auf den Kopf fällt. Klirrend verschwindet das Eis in der Tiefe des dunklen Schachtes. Dann höre ich das Fauchen des Drachen. Es grollt aus dem Schacht herauf kurz nachdem das klirrende Geräusch verklungen ist. Zuerst dachte ich an einen Bach, der dort unten tost, aber es muss sich um ein Echo handeln. Trotz aller rationalen Erklärungen klingt das Geräusch furchteinflößend und schreckt nachhaltig davor ab, auch nur einen Meter weiter abzuseilen. Ich kann gut verstehen warum die Entdecker der Pozoj die Assoziation eines aufgeweckten Drachens hatten.
Wieder tolle Eisstrukturen an den Wänden. Lukina Jama. Bild: Matthias Hardner.
Ich will aber unbedingt noch weiter, zumal ich hier immer noch Tageslicht sehe. Allerdings habe ich das Problem, dass von oben kaltes Wasser auf mich regnet und ich hier unbedingt eine Umstiegstelle brauche. Sonst reibt beim weiteren Abseilen das Seil auf dem morschen Eis, wird beschädigt, friert ein, reißt die Strukturen ab, die dann auf mich fallen oder sonst welche unangenehmen Dinge passieren. Direkt vor mir versuche ich das Eis mit dem Hammer abzuschlagen, bis ich auf die Felswand stoße. Doch danach bemerke ich, dass das kein gewachsener Fels, sondern nur ein Stein ist, der an andere größere Steine angefroren ist. Eigentlich sieht die ganze Zone rechts von mir aus wie zusammengefrorener Verbruch. Links fließt aber das Wasser und entsprechend dick war die Eisschicht dort. Außerdem ist es nicht möglich sich mehr als wenige Zentimeter von der Falllinie zu entfernen, weil die Füße auf dem glatten Eis keinen Halt finden. Hier wären Steigeisen wirklich hilfreich. Etwa einen Meter tiefer finde ich rechts neben mir einen kleinen Schneebalkon, der mit einer 2 cm dicken Eisschicht überzogen ist und hält. Wenn ich dort mein Bein dahinter klemme kann ich mich weiter nach rechts ziehen. Zwei Vorteile: Ich werde nicht mehr von oben beregnet und ich kann nach neuen potentiellen Ankerplätzen Ausschau halten. Da gibt es ein überhängendes Stück Fels was recht solide wirkt mit wenig Eisüberzug. Aber die Anker halten axial auf Zug nicht so gut. Etwas oberhalb des Balkons finde ich einen großen Felsblock nachdem ich das Eis wegeschlagen habe. Der ist zwar Teil des gefrorenen Verbruchs, aber etwa 1 m³ groß, genug für ein solides Bohrloch. Ganz zufrieden bin ich mit dem Anker nicht, aber es war nichts Besseres zu finden. Die schönen Eiszapfen an der Unterseite des Balkons musste ich leider wieder abbrechen. Sicher ist sicher. Ich seile etwa 30 m weiter ab. Das Ende des Schachtes ist nicht zu sehen. Abgebrochenes Eis kann ich 13 Sekunden fallen hören, bevor der Drache wieder anfängt zu fauchen. Von oben kommt auch immer mal Eis heruntergefallen, was mich zielsicher trifft und mir zeigt, dass Čajko noch da ist und irgendetwas macht. Ich hatte Bedenken, dass er den Schneebalkon an der Umstiegstelle abbrechen könnte. Später erfuhr ich, dass die Bedenken unbegründet waren, weil er mir gar nicht so weit gefolgt war.
Ich hänge inzwischen etwa 10 m unterhalb des Endes vom Gletscher. Das sieht in etwa so aus, wie man sich einen Eispfropfen von unten vorstellt. Eine horizontale Fläche aus gestreiftem Gletschereis mit beeindruckenden Eiszapfen am unteren Rand wölbt sich über mir. Durch den Spalt zwischen Gletscher und vereister Felswand bin ich soeben abgeseilt. Wenn ich jetzt weiter abseile, würde mich alles, was vom Hängegletscher abbricht mit hoher Wahrscheinlichkeit treffen. Die großen Eiszapfen konnte ich nicht erreichen um sie vorsorglich zu entfernen. Außerdem schlich sich ein weiterer Gedanke in meinen Kopf: Vielleicht destabilisiere ich die Eiswände, wenn ich ständig Eisbrocken in den Schacht werfe? Was, wenn das Eis um mich herum von den Wänden abfällt und alles wie ein Kartenhaus zusammenbricht? Rationale Gedanken waren das vielleicht nicht, denn das Eis wirkte sehr solide und selbst der Hängegletscher sieht aus, als ob er sich heute sicher nirgendwohin bewegt. Das ungute Gefühl bleibt aber. Ich beschließe an der Stelle vorsichtig wieder aufzusteigen. Von den Kroaten erfahre ich später im Camp, dass sie die gleichen Gedanken plagen und deshalb niemand gerne Eisschächte einbaut.
Blick aus dem Eisschacht der Xantipa Höhle nach oben zum Gletscher. Bild: Julius Zimmermann.
Etwa auf Höhe des Hängegletschers entdecke ich im Aufstieg noch eine optimale Stelle für eine Umstiegstelle. Da Čajko und Hrvoje den Schacht noch vermessen müssen, will ich hier noch einen soliden Anker setzen. Die Eisschicht lässt sich gut entfernen, aber die Stelle ist so weit rechts neben mir, dass ich am langen Arm bohren müsste. Frei hängend kann ich aber keinen Druck auf den Bohrer bringen. An der Wand vor mir finde ich nur runde Eisknubbel, an denen ich die Finger der linken Hand etwas verklemmen kann. So geht das mit dem Bohren einigermaßen. Dreimal verlor ich den Halt und pendelte mit laufender Bohrmaschine zur Seite. Dann musste ich erst mühsam wieder in meine stabile Position zurück und das angefangene Bohrloch wiederfinden. Steigeisen wären spätestens hier wahrscheinlich nützlich gewesen. Das Bohren dieser zwei Anker dauert ewig und jetzt möchte ich wirklich gerne ans Tageslicht zurück. Vielleicht hätte ich noch einen zweiten Versuch starten sollen mit den guten Fixpunkten über mir? Letztendlich hatte ich gehofft, dass Čajko oder Hrvoje nach mir noch etwas tiefer gehen würden. Dazu hatten die beiden aber keine Lust, und auch sonst niemand. So werden wir nicht erfahren, wie tief der Schacht noch gewesen wäre.
Nach mir seilt Julius ab, um schöne Bilder zu machen. Danach muss Čajko zum Vermessen mit dem Laser bis zur letzten Umstiegstelle und gruselt sich dabei. Wir steigen inzwischen bis zum Absatz über dem Eis auf und genießen die Wärme der Sonne. Als alle wieder am Tageslicht sind, beginne ich mit einem Schleifsack voller Seile den langen Aufstieg in der Sonne. Julius baut als Letzter aus. Vollgestopft mit dem ganzen Material werden die Rucksäcke beim Abstieg zum Auto sehr schwer. Wir überlegen, ob wir nicht einfach die Alarmzeit überschreiten sollten bis jemand käme, der uns dann beim Tragen helfen könnte. Eigentlich wollten wir um 17:00 Uhr zurück sein, aber das hatte uns wahrscheinlich sowieso keiner geglaubt. Deshalb könnte es noch eine Weile dauern bis jemand nach uns schauen käme. Also machen wir uns schwer bepackt an den Abstieg.
Max, Matthias und Dalibor waren derweil in der Lukina Jama erfolgreich und haben die Messsensoren platziert. Damit waren sie offiziell am Boden der tiefsten Höhle Kroatiens. Auf dem Eispfropfen fanden sie riesige Eis-Stalagmiten. Es gibt ein zweites Mundloch zu der Höhle, über das man zwar tiefer hineinkäme, aber den Eispfropfen trotzdem nicht umgehen kann. Niemand weiß, ob und wann zugefrorene Schächte wie die Lukina Jama wieder zugänglich werden. Die Klimamessungen auf den Eiskegeln und in den Höhlen dienen dazu, Erkenntnisse über diese Zyklen der Vereisung zu gewinnen. Schließlich muss davon ausgegangen werden, dass vollständig zugefrorene Karströhren über Jahrzehnte nicht als Abflusspfad für Niederschlagswasser zur Verfügung steht. Folglich muss das Wasser in dieser Zeit andere Fließwege nutzen. Das kann für den Wasserhaushalt und Quellschüttungen in der Region sehr interessant sein.
Eisstalagmiten am "Grund" der Lukina Jama. Bild: Matthias Hardner.
Am Abend ist Luka schon mit Damjan unterwegs zum Mundloch der Slovačka Jama, um die Telefonleitung von dort bis zum Camp zu kontrollieren. Leider ist das Kabel an sehr vielen Stellen beschädigt oder gerissen, sodass sie viel Arbeit haben. Luka nimmt einen Telefonhörer mit, den er an beliebiger Stelle auf das Kabel klemmen kann. Das geht mit zwei Klemmen, die mit feinen Nadeln die Kunststoffisolation des Kabels durchstechen. Die Klemmen haben eine sehr starke Feder und sind dadurch recht schwergängig. Trotzdem muss man beim Anklemmen darauf achten, dass die Nadeln auf beiden Kabelsträngen einen guten Kontakt zu den Kupferlitzen herstellen. Sonst hört man ein konstantes Knistern und Rauschen in der Leitung. Luka ruft etwa aller 10 Minuten im Camp an, um die Verbindung zu prüfen. An kaputten Stellen muss er die Kabel abisolieren, die Drähte zusammendrehen, mit Klebeband umwickeln und die reparierte Stelle durch einen Knoten entlasten. Stark beschädigte Bereiche werden großzügig ausgetauscht. Luka und Damjan sind an dem Abend noch lange unterwegs, aber das ist notwendig, da am nächsten Tag ein Team bis zum Biwak 3 absteigen möchte.
Das Team soll aus Luka, Marko Rakovac, genannt Raki, und den beiden Geologen Filip und Karlo bestehen, die heute angereist sind. Sie würden zunächst die Seile zwischen Biwak 1 und Biwak 3 einbauen und das Kabel in der Höhle kontrollieren. Nach einer Nacht im Biwak würden sie den Siphon anschauen und geologische Proben nehmen. Im fossilen Nebengang „Limbo Canal“ wollten sie nach Möglichkeit die Engstellen aufsprengen, während ein Taucher später dazu stoßen sollte um im Siphon zu tauchen.
Camp Veliki Lubenovac. Bild: Lisa Hoffmann.
Bisher sind im Camp relativ wenige Leute, rund 20, weil parallel noch andere Camps von anderen Vereinen stattfinden. Dadurch sind vor allem die erfahrenen Höhlenforscher auf die verschiedenen Camps verteilt und eine richtige Aktion in der Slovačka Jama konnte noch nicht stattfinden. Die Anwesenden sind großenteils die „Lehrlinge“ des Höhlenvereins um etwas zu lernen. In Kroatien ist die Ausbildung zum Speleologen einheitlich organisiert und recht stark verschult. Jeder Interessierte kann bei einem Höhlenverein seiner Wahl die „Schule für Speleologie“ besuchen. Die Ausbildung dauert zwei Monate und umfasst einen Theorieabend pro Woche und Höhlenexkursionen und SRT-Training an den Wochenenden. Wer danach weitermachen möchte, ist zwei Jahre lang Lehrling in seinem Verein, bevor er die Prüfung ablegen kann. Von 20 Interessierten pro Jahr bleiben durchschnittlich 1-2 bis zur Prüfung dabei. Die Camps sind deshalb auch Gelegenheiten zum Sammeln von Erfahrung für die Lehrlinge. Aber wer in die Slovačka Jama geht, das entscheidet der Campleiter. Es kommt uns so vor, als ob die letzten Tage auch dazu dienten uns zu testen und einzuschätzen. Scheinbar haben wir die Kroaten überzeugen können, dass wir nicht ganz unerfahren sind. Besonders der Einbau in Xantipa hat sie beeindruckt. Für die nächsten Tage ist geplant, dass Marko und Luka über das Telefon Bescheid geben, wenn der Siphon klar ist. Dann würde der Taucher informiert werden und ins Camp kommen. Wir sollten dann am Freitag drei Schleifsäcke mit Tauchausrüstung in die Höhle bringen. Wir dürften bis Biwak 3 gehen, dort schlafen und am nächsten Tag wieder aufsteigen. Das trauen wir uns selbst allerdings noch nicht zu, weil wir in dem Fall mindestens 900 m am Stück aufsteigen müssten, zumal das Biwak 3 für acht Leute zu eng wäre und man in Schichten schlafen und arbeiten müsste. Stattdessen wollten wir das Material am Ende vom Fifi Meander bei -750 m deponieren und dann in Biwak 1 bei -360 m schlafen. Das würde uns vermutlich fürs erste Mal genug fordern. Über das entgegengebrachte Vertrauen freuen wir uns trotzdem. Wenn alles gut läuft, würde der Taucher am Samstag mit seinem Team absteigen und im Siphon tauchen. Bei seinem ersten Versuch vor einigen Jahren war der Siphon sehr trüb. Zuvor hatte es stark geregnet. Auch während das Team in der Höhle arbeitete gab es damals starke Regenfälle, sodass sie vorrübergehend aufgrund der Wasserfälle im Schacht nicht aufsteigen konnten. Der Siphon ist so schmal, dass ein Taucher nur seitlich durchpasst. Weil er damals die Flaschen auf dem Rücken montiert hatte, kam er nicht weiter. Diesmal möchte er es bei guter Sicht mit den Tauchflaschen an der Seite versuchen. Der 68-jährige Taucher wurde uns von allen im Camp als ein wenig verrückt beschrieben. Ich möchte den nächsten Tag als Pausentag nutzen und mir das Telefonsystem näher anschauen. Dazu wird es reichlich Gelegenheit geben.
02.08.2018 Dezurni
Unser Dienst, oder Lagerwache oder wie man es nennen möchte, beginnt um 6:00 Uhr mit dem Zubereiten des Frühstücks und hätte normalerweise nach dem Abwasch am Abend, wenn alle Gruppen zurück im Camp sind, geendet. Weil aber heute auch nachts Leute in der Slovačka jama sein werden, dauert der Dienst 24 Stunden bis zur Ablösung am nächsten Morgen. Dass das Lager und insbesondere das Telefon ständig besetzt sein müssen, wird von allen sehr ernst genommen. Das bedeutet, dass auch nachts jemand in Hörweite des Telefons schlafen muss. Mit mir sind Mark und Julius für den Dienst eingeteilt. Auch Čajko bleibt im Lager, weil er Organisatorisches zu erledigen hat, wie Einkaufen, Trinkwasser holen und den Taucher anrufen.
Zum Frühstück schneidet Julius Äpfel und Orangen auf und wie jeden Morgen gibt es Müsli, Brot, Käse, Salami und Speck. Nach dem Frühstück helfen Julius und Mark beim Transport von Wasser und Material zum Eingang der Slovačka Jama. Čajko geht zuerst mit Lucija, Valentina, Španja und einer Gruppe „Lehrlinge“ ins Kids Camp zum Üben. Matthias, Max, Dalibor, Ana, Hrvoje und Tomislav begeben sich auf die Suche nach der Höhle in der großen Doline, welche wir an unserem ersten Höhlen-Such-Tag nicht ganz erreicht hatten.
Dadurch bin ich am Vormittag alleine im Camp und nutze die Zeit zum Wäschewaschen. Leider ist die Telefonleitung bis zum Mundloch trotz vorheriger Kontrolle nicht in Ordnung. Wahrscheinlich ist sie durch Regen in der Nacht wieder beschädigt worden. Das Wetter ist ein großes Problem für das Kabel, welches wahrscheinlich durch die Windbewegung der Bäume zerrissen wird. Luka ruft also auf dem Weg zum Eingang immer wieder testweise an, sodass ich mich nicht weit vom Telefon entfernen kann. Problematisch sind auch Gewitter, da das Kabel den Strom bis in die Höhle leiten kann wo dieser die angeklemmten Hörer verschmort. Deshalb müssen beim ersten Anzeichen von Gewitter alle Telefonhörer vom Kabel entfernt werden.
Nachdem Mark und Julius ihren Auftrag erfüllt haben, kehren sie zum Camp zurück. Ich freue mich, weil ich endlich die Verantwortung für das Telefon abgeben und „Duschen“ gehen kann. Beim Abstieg hat sich Mark den Fuß verstaucht, womit er sich in die Gruppe der Menschen mit verstauchten Füßen einreiht. Im Laufe der Woche haben sich vier Leute am Fuß verletzt, zwei hatten eine Hitzeerschöpfung erlitten und einer wurde von einem Stein am Arm getroffen (der einzige Unfall in einer Höhle). Statistisch gesehen gab es also aller 20 Personen-Tage eine Verletzung, wobei das Risiko, außerhalb der Höhle zu verunglücken, scheinbar 6 x so hoch war wie in der Höhle. Verglichen mit meinen bisherigen Erfahrungen ist das überdurchschnittlich häufig.
Nach dem Mittagessen kommt Dalibor als erster mit seiner Gruppe zurück. Sie haben die Doline schnell gefunden, nachdem Max und Matthias vor drei Tagen schon im gleichen Gebiet gesucht hatten und gute Hinweise geben konnten. Die dort zu prüfende Höhle hat jedoch ein sehr schmales Mundloch und außer Max passt niemand hinein. Nach fünf Metern biegt der Gangverlauf scharf nach rechts ab und sieht wenig vielversprechend aus. Um kein „Feststecken“ zu provozieren, tritt Max den Rückzug an. Auf dem Rückweg prüft die Gruppe noch ob es eine Zugangsmöglichkeit in die bislang größte Doline in dieser Gegend gibt, die wir schon zweimal umgangen haben. Leider ohne Erfolg. Die Wände fallen auf allen Seiten senkrecht ab und ohne Bohrhammer, Anker und 100 m Seil kommt man dort nicht hinunter.
Wir haben keine Chance hier ohne Seile hinunter zu kommen. Bild: Matthias Hardner.
Später kommt auch Čajko mit seiner Gruppe aus dem Kids-Camp. Sie haben Entspannungsübungen gemacht und mit den Kindern Rugby gespielt. Die Entspannungsübungen müssen so gut gewesen sein, dass man uns unbedingt davon überzeugen wollte, es auch einmal zu probieren. Ich glaube aber, dass mein Körper nicht zu so etwas fähig wäre. Es sollte noch erwähnt werden, dass Veliki Lubenovac zweimal beim Rugby gegen Mala Lubenovac gewonnen hat, trotz unfairer Spielweise der Kinder. Natürlich ward im Anschluss daran keine Höhle mehr befahren. Čajko hat auch den Taucher noch nicht erreichen können, der in seinem Camp sicher auch keinen Handyempfang hat. Neben dem Einkauf und dem Wasserholen wollte Čajko sein Zelt umsetzen. Dieses steht nämlich direkt unter einem großen toten Baum, der halb umgestürzt ist und nur durch einen kleineren Baum gestützt wird. Beunruhigender Weise stand dieser Baum zu Beginn noch senkrecht auf seinem Stamm.
Typisches Karren-Gelände, steil & scharfkantig. Bild: Matthias Hardner.
Während Čajko für den Einkauf in die Stadt fährt zieht ein Gewitter auf, sodass ich das Telefon abklemmen muss. Das Team in der Höhle ist sehr schnell und schon unter dem Fifi Meander, obwohl sie nebenbei noch die Telefonleitung checken und den unteren Teil der Höhle einbauen. Wir fangen inzwischen damit an, das Abendessen vorzubereiten. Es soll Chili con Carne geben, wobei Čajko das Carne und Chili mitbringen würde. Der lässt aber auf sich warten. Kurz nach 20:00 Uhr haben schon alle großen Hunger, als sein Auto endlich vorfährt. Der Kessel brodelt schon, gefüllt mit Bohnen, Gemüse und Tomatenmark. Das Fleisch können wir jetzt auch anbraten und nachträglich hinzufügen. Das Abendmahl ist sehr lecker geworden und wie jeden Tag sitzen wir noch eine Weile zusammen. Ich bleibe so lange am Telefon bis das Team Biwak 3 erreicht hat, was etwa 23:00 Uhr der Fall war. Dann verlängern wir die Telefonleitung bis in Čajkos Zelt. Das Kabel dafür ist in einen großen Schleifsack wie ein Seil hineingestopft. Das Entwirren des Riesen-Fitzes kostet einige Zeit. Dann gehen wir auch schlafen.
03.08.2018 Slovačka Jama
Am Morgen gibt es immer noch keine Neuigkeiten vom Taucher. Jedenfalls ist er in der Nacht nicht aufgetaucht. Wir müssen also den Vormittag noch untätig im Camp verbringen, denn er würde das Material mitbringen, welches wir transportieren sollen. Es wird Mittag und man hat uns inzwischen angeboten, die Höhle als „Touristen-Befahrung“ anzuschauen und schöne Fotos zu machen. Wir könnten noch etwas Essen mit ins Biwak nehmen und einen Schleifsack mit Seilen aus -550 m Tiefe hochholen. Da es schon Nachmittag ist, denken wir, dass eine Übernachtung im Biwak 1 für uns sehr wahrscheinlich wäre. Matthias ist sich nicht sicher, ob er das möchte. Er möchte am nächsten Tag lieber eine Wanderung im Tageslicht durch die schöne Landschaft unternehmen.
Wir machen uns zu dritt fertig für die Befahrung. Später stellt sich heraus, dass der Taucher bei einem Tauchgang ein Loch in seinen Trockenanzug gerissen hat und dieses erstmal reparieren muss. Es gab also keine Tauchversuche in der Höhle mehr. Wir packen zusätzlich zur normalen Höhlenausrüstung extra Fleecekleidung zum Wechseln, einen Kocher, Gas und Essen fürs Biwak, sowie das Foto-Equipment ein. Es wird uns mehrmals empfohlen, dass unbedingt jede Gruppe einen Kocher, Gas und einen Topf dabei haben muss um notfalls unterwegs etwas Warmes zubereiten zu können. Bis zum Mundloch begleitet uns Hrvoje. Wir folgen dem Telefonkabel bis zum Rand einer großen Doline in die wir hineinklettern. Das Mundloch finden wir als unscheinbaren Spalt in der Seitenwand. Wir ziehen uns an und Max und Julius folgen mir. Es geht sofort mit kürzeren Abseilstrecken los. Das Seil ist furchtbar dick und steif. Der erste Schacht ist 55 m tief. An der ersten Umstiegstelle im Schacht bemerke ich, dass mein Schraubglied nicht zugeschraubt ist, obwohl mich Max mehrfach danach gefragt hatte. Ich habe es wohl vergessen zuzuschrauben und dann bei der Kontrolle übersehen, weil ich zu flüchtig geschaut habe. In der Umstiegstelle kann ich mich in eine Seilschlaufe setzen und es zuschrauben. Die Belastung war leider ausreichend um es zu verbiegen. Jetzt ist Öffnen und Schließen nur noch mit Hilfe des Abseilers möglich und dauert sehr lange.
Im P 195m Hauptschacht der Slovačka Jama. Bild: Julius Zimmermann.
Quelle: http://www.speleologija.eu/slovacka/indexen.html Datum des Abrufs: 17.04.2019
Weiter ging es zur nächsten Umstiegstelle wo wir im Schacht die Seite wechseln indem wir am Seil hinüber pendeln. Ich bewundere die Slowaken, die diesen Schacht als erstes eingebaut haben. Wir folgen schließlich nur dem Seil und der Telefonleitung. Durch eine kleine Verengung landen wir direkt im 195 m tiefen Schacht, der durch viele freihängende Umstiegstellen in kleine Häppchen geteilt ist. Insgesamt 27 solcher Umstiegstellen zählt Max in dem einen Schacht. Das Echo ist grandios und wir können uns gut vorstellen hier einen ganzen Chor in den Schacht zu hängen. Uns gehen dagegen bald die Melodien aus. Am Boden des Schachtes reflektiert eine Wasserlache das Licht. Dadurch kann man den Boden sehen, aber er kommt lange nicht näher. Fast drei Stunden sind wir jetzt unterwegs.
Endlich angekommen warte ich auf Julius und Max und versuche dabei zu fotografieren. Nach weiteren 50 m erreichen wir einen Seitengang in dem das Seil endet. Unter uns führt der Schacht Posseidon weitere 213 m in die Finsternis. Wir folgen dem Seitengang in einen lehmigen Schluf. Einige Handseile sichern die glitschigen Stellen ab. Wir hören ein lautes, für die Höhle eher untypisches, prasselndes Geräusch. Es entpuppt sich als Wassersammler des Biwaks. Hier wird das Wasser einer Quelle mit Plastikplanen eingesammelt und in einen Topf geleitet. Die Quelle hat keine Verbindung zu den darüber liegenden Schächten, wurde uns versichert. Das Wasser ist sauber und trinkbar. Nach drei Stunden Abseilen sehen wir hinter dem nächsten Felsen das rote Biwakzelt.
Angekommen am Biwak 1 in -360m Tiefe. Bild: Julius Zimmermann.
Wir finden das kleine rote Telefon und melden unsere Ankunft. Im Zelt ist Platz für vier Personen, der Boden ist felsig, lehmig und uneben. Wir finden eine Plane, Isomatten und Blaubeertee. In einem Müllsack lagert das Essen, Tütensuppen, Tütennudeln, Kaffee, Tee, Limopulver, es gibt sehr viel Auswahl. Die Gaskartuschen sind etwas rostig, sodass wir die optisch Älteste und Leerste zuerst aufbrauchen und unsere Neuen dafür dalassen. Wir machen gemeinsam eine Teepause, bevor Max und ich weiter zum Mäander abseilen. Das Ausziehen der Gurte und der nassen, lehmigen Schlaze ist jedes Mal mühsam. Der Tee schmeckt sehr lecker und es wird schön warm im Zelt sobald der Gasbrenner läuft und drei menschliche Heizungen darin sitzen. 19:30 Uhr machen wir uns auf den Weg zum Schleifsack. Julius wird auf uns warten und das Biwak vorbereiten.
Slovačka Jama. Bild: Julius Zimmermann.
Die folgenden Räume sind kleiner und durch kurze Steilstufen getrennt. Der Einbau ist so seilsparend, dass das Blockieren vom Abseiler oft nicht möglich ist. Die Alukarabiner sind hier schon stark korrodiert. Die Höhle ist sauberer, aber auch deutlich nasser als in den oberen Teilen. Wir finden den orangenen Schleifsack in einer Tiefe von -550 m. Nach kurzer Diskussion ergeben wir uns unserer Neugier und seilen noch weitere 100 m ab bis zum Beginn vom Fifi Meander. Dort finden wir vorbereitete Schnüre für das ehemalige Biwak 2 und ein Telefon. Der Platz ist relativ komfortabel, wird aber bei Regen komplett nass, weshalb das Biwak nicht mehr genutzt wird. Wir nutzen die unerwartete Gelegenheit um uns im Basislager und bei Julius zu melden. Dann beginnen wir mit dem Aufstieg. Es muss eine Engstelle am Ende eines kurzen Seilstückes überwunden werden, die mit Schleifsack schon recht mühsam ist. Zuerst habe ich mich verkehrt herum zwischen Seil und Wand verbaut. Einmal umgedreht funktioniert es besser und die Fußsteigklemme hilft auch. 23:15 Uhr sind wir zurück im Biwak 1, das von Julius schon gemütlich eingerichtet worden ist. Zum Abendessen gibt es Spaghetti Carbonara aus der Tüte. Danach kriechen wir in die Schlafsäcke. In der Nacht wird es dann doch etwas kalt an den Füßen, zumal meine Fleecehose unterwegs nass geworden war, weil ich sie an hatte. Insgesamt schlafe ich diesmal deutlich besser als bei unserer ersten Biwaknacht in Rumänien. Die Schlafsäcke hier im Biwak sind richtig dicke Winterschlafsäcke. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit ist die gefühlte Temperatur ziemlich niedrig.
Im P 195m Hauptschacht der Slovačka Jama. Bild: Julius Zimmermann.
04.08.2018
Das Aufwachen im Dunkel am Morgen ist seltsam. Gefrühstückt wird mit Kaffee, Müsliriegel und Schokolade. Wir lassen das Biwak weitestgehend eingerichtet und füllen den Wasserkanister auf, weil nach uns noch mindestens eine Gruppe hier schlafen wird. Das Anziehen der nassen Schlaze und Gurte macht keinen Spaß. Ich brauche jetzt immer fünf Minuten nur um mein verbogenes Schraubglied auf- und zuzuschrauben. Wir sind besonders gespannt, wie sich der Aufstieg im 195 m Schacht anfühlen wird. Es geht stetig voran, mit Fotopausen unterwegs, bei denen einer den Blitz unter sich hält und die anderen den Schacht beleuchten. So entstehen einige sehr gute Bilder. Die Fußsteigklemme bewährt sich im Aufstieg. Die Zeit vergeht schnell und nach vier Stunden sehen wir das Tageslicht wieder und genießen die Sonne. Wir gönnen uns ein ausgiebiges Picknick bevor wir uns auf den Rückweg zum Camp machen. Hier oben am Rand der Doline haben wir sogar Handyempfang und ich konnte meiner Mutti zum Geburtstag gratulieren. Beim Abstieg begegnen wir dem dritten Team, das beim Ausbau helfen soll. Die Neuigkeiten vom Team in Biwak 3 erfahren wir erst im Camp. Sie haben eine Engstelle im Verbruch im Limbo Canal aufgesprengt. Ob es dort weitergeht ist unklar, da der Luftzug nicht mehr so deutlich spürbar ist. Aufgrund der Entfernung zur Oberfläche fanden sie es zu gefährlich, weiter in dem losen Verbruch zu arbeiten. Sie wollen deshalb die Seile komplett ausbauen und bis zur nächsten Expedition in Schleifsäcken verstaut am Fifi Meander lagern. Während Luka, Filip und Karlo im Biwak 1 schlafen, steigt Marko direkt bis zum Mundloch auf und kommt nachts zurück ins Camp. Am nächsten Morgen um 7:00 Uhr ist er schon wieder beim Frühstück und sieht kein bisschen müde aus. Wir sind wieder einmal schwer von den kroatischen Höhlenforschern beeindruckt.
Nach etwas mehr als einer Woche voll mit spannenden Erlebnissen, neuen Freundschaften und mit dem Gefühl, dass wir jederzeit wieder willkommen sind packen am Sonntag, den 05.08. unsere Sachen, tauschen letzte Kontaktdaten aus und verabschieden uns. Unsere Fahrt führt uns weiter ans Meer, wo wir noch für ein paar Tage klettern und vielleicht sogar entspannen wollen.
Nach einer Nacht im Biwak, v.l.n.r.: Julius, Lisa, Max vorm Biwak 1, Slovačka Jama. Bild: Julius Zimmermann.